Kein Zweifel am Alter der „Dame von Kelsterbach“

(cc) Wikipedia: Cro Magnon-Schädel

BfU – Interview mit Professor Dr. Dr. h. c. Arno Semmel ( Hofheim/a.Ts. )
Prof. Semmel ist ein renommierter deutscher Geograph und Geologe. Er war Lehrstuhlinhaber am Institut für Physische Geographie der Universität Frankfurt am Main. Bereits 1961 wurde er als profunder Kenner der eiszeitlichen „Kelsterbacher-Terrasse“ zu Knochenfunden am Kelsterbacher Mönchwaldsee hinzugezogen. Im Jahre 1978 veröffentlichte er zusammen mit dem Anthropologen Professor Dr. Dr. Protsch von Zieten eine gemeinschaftliche Arbeit über den „Kelsterbach-Hominiden“, der sogenannten „Dame von Kelsterbach“. Damit galt seit 1978 der alt-steinzeitliche Schädelrest mit beachtlichen 31.200 Jahren als wissenschaftlicher Beleg für den ältesten anatomisch modernen Menschen. Der Schlüsselfund aus dem Kelsterbacher Wald verschwand jedoch in 2004 unter dubiosen Umständen nach der Emeritierung Prof. Protsch von Zietens aus der Obhut der Universität Frank-furt. Der Diebstahl ist Gipfelpunkt eines großen Wissenschaftskandals.1 Prof. Protsch von Zieten wird von Fachkollegen vorgeworfen, den Schädel falsch datiert zu haben. Das Interview führte BfU-Vorstandsmitglied Frank Wolf. Die BfU Eddersheim forscht seit Januar nach dem Verbleib der „Kelsterbach-Dame“ und konnte bereits einige bemerkenswerte Details zu Tage fördern.
Wolf: Haben Sie aus heutiger Sicht Zweifel an der Echtheit des Schädels und an der Zuverlässigkeit der damaligen Datierung?

Die Radiokarbondatierung stimmt mit dem auf sonstige quartärgeologische Weise erschlossenen Alter überein (vgl. Meine Ausführungen in Protsch & Semmel 1978).

Wolf: Haben Sie aus heutiger Sicht Zweifel daran, dass die T(6)-Schicht an der Nordwestecke des Kelsterbacher Mönchwaldsees 1952 der wahre Fundort des Schädels war?

Prof. Semmel: Nein.

Wolf: Hat nach Ihrer Kenntnis Herr Professor Protsch von Zieten die Datierung FRA-5 nicht selbst vorgenommen, sondern dies von einem sehr zuverlässigen Mitarbeiter erledigen lassen? Wissen Sie hier nähere Einzelheiten? Können Sie Quellen nennen?

Prof. Semmel: In einer Unterhaltung über die Zuverlässigkeit der Radiokarbondatierung äußerte ein mit den Verhältnissen im Anthropologischen Institut in Frankfurt am Main offensichtlich vertrauter Diskussionspartner, dass die Datierung von einem als fachlich solide geltenden Mitarbeiter Herrn Protschs ausgeführt worden sei. Ich vermute, dass diese Information mir von Herrn Blaenkle zuging, dieser sollte hierzu befragt werden.

Wolf: Könnten Sie mir eine Ablichtung oder eine Abschrift aus Ihrem Geländebuch überlassen? Mich interessiert der Tag der Geländeerkundung zusammen mit Prof. Protsch von Zieten.

Prof. Semmel: Die Kopie der betreffenden Seite meines Feldbuches liegt bei. Auf eine genauere Beschreibung des Profils verzichte ich, da die Notizen des Finders, die Herr Protsch dabei hatte, die Abfolge vorzüglich wiedergaben. Herr Protsch notierte weitere Einzelheiten zur Lage etc.

Wolf: Trifft es zu, das die Datierung Hv-1961, die 1960 in Hannover bezüglich des „Mammuthus primigenius“ Molars erstellt wurde, heute nicht mehr auffindbar ist, bzw. eine Grundwasseranalyse sein soll?

Prof. Semmel: Ja. Eine Nachfrage von mir vor einigen Jahren in Hannover wurde in diesem Sinne beantwortet.

Wolf: Trifft es zu, dass Protokolle, die Sie zu dem Thema verfasst und an das Landesamt für Denkmalpflege sandten, nach Ihren persönlichen Nachforschungen dort nicht mehr auffindbar sind?

Prof. Semmel: Nein, denn die zuständige Behörde, für die ich bis 1969 tätig war und für die ich auch später geologisch kartierte, war das damalige Landesamt für Bodenforschung in Wiesbaden, nicht das Landesamt für Denkmalpflege. Eine Nachsicht von mir im Zusammenhang mit dem Druck der GK 25, Blatt 5918 Neu-Isenburg, im Archiv des HLfB stieß auf keine Angaben zu den betreffenden Molarenfunden. Möglicherweise sind diese anderweitig registriert worden, da der seinerzeitige Amtsleiter, Prof. Dr. Udluft, die Angelegenheit selbst mit einer Zahlung von Finderlohn an den Überbringer der Zähne abschloss. Dazu ist noch anzumerken, dass die angegebene Fundstelle erst einige Tage später im März 1961 von mir aufgesucht wurde und ich den Angaben der Grubenarbeiter folgte. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Molaren in unmittelbarer Nähe der später besuchten (1977) Cranium-Fundstelle lagen.

Wolf: Halten Sie die Aussage des Landesamtes für Denkmalpflege, der Fundort sei eine ehemalige „Spüllinse des Mains“ und der Schädel sei dort „zufällig angeschwemmt worden“ für nachvollziehbar? Oder handelt es sich „in situ“ um die Stelle, an der die Knochen ursprünglich zum Liegen kamen?

Prof. Semmel: Das ist nicht sicher auszuschließen, aber wenig wahrscheinlich, denn die gute Erhaltung des Schädels spricht gegen einen weitstreckigen Transport im kiesigen Substrat. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schädel auf einer Eisscholle lag und somit stärkeren mechanischen Angriffen nicht ausgesetzt war. Allerdings sollte man dann erwarten, dass wie an Driftblöcken in der Regel zu beobachten, Spuren von Frosteinwirkung zu erkennen sind.

Wolf: Der Schädel wurde in 4,60m Tiefe am Fuße der t6-Terrassenschicht gefunden. Muss man dann nicht annehmen, wenn es sich um keine Grablegung handelte, dass das Alter des Schädels mit dem Alter der t6-Terrasse identisch ist, wenn er zusammen mit dieser sedimentiert wurde?

Prof. Semmel: Der Schädel-Fundpunkt lag laut Fundnotiz nicht am Fuße der t6-Terrasse, sondern einen Meter höher, also spricht kaum etwas dagegen, dass er zeitgleich mit den t6-Kiesen sedimentiert wurde.

Prof. Semmel: Zu Ihrer weiteren Information teile ich noch mit, dass die J.W.-Goethe-Universität mir auf Anfrage im Sommer d. J. mitteilte, trotz intensiver Suche habe sich von dem Schädel keine Spur gefunden.

1 http://http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36098&key=standard_document_38183141

Das Interview wurde mündlich und schriftlich am 21.10.2009, 03.11.2009 und 16.11.2009 durchgeführt.

Hinterlasse einen Kommentar